Deutschland, 2019:

 

Sterneköche: 317.

 

Sterneköchinnen: 11.

 

Töpfe zu schwer? Die „gute Mutter“ bleibt zu Hause? In der Küche herrscht nun mal ein harter (im Kontext „männlicher“) Ton?

 

Das sind nur einige der kläglichen Versuche, Begründungen für die strukturelle Benachteiligung von Frauen* in der Gastronomie und auf gesamtgesellschaftlicher Ebene zu finden. Wirkmächtige gesellschaftliche Muster - als eigentliche Ursache – werden auf vermeintlich individuelle Entscheidungen zurückgeführt und entsprechend unsichtbar gemacht. In der neuen Reihe „Female Chefs“ richten sich Spotlight und Mikro auf Macherinnen*, die mit Kochlöffeln gläserne Decken zertrümmern, und mit ihrer brillianten Arbeit begeistern.

 

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Shero # 3: Sophia Rudolph - Oh, wie schön ist dein Panama! 

 

Panama (Berlin - Tiergarten)

 

Immer dem blauen Neon-„P“ nach…, wenn man sich vorbei an bepflanzten Holzkübeln über den verklinkerten Innenhof der Potsdamer Straße 91 schlängelt! Die angeschlossene Destillat-Remise im Innenhof - die Tiger Bar – bitte direkt abspeichern für die Magenkühlung danach! Ein paar Stufen ins Souterrain und schon leuchtet von der Decke der nächste Neon-Hinweis. Dieses Mal handelt es sich um eine chemische Formel. Ich erkenne das Dimetyhyltryptamin (DMT), das als sogenanntes „Spirit Molecule“ zu den stärksten Halluzinogenen der Welt zählt. Aus einer Liane gewonnen wird „Ayahuasca“ typischerweise in schamanischen Ritualen in Südamerika verwendet, um andere Wirklichkeitszustände zu erreichen. Sollte dieser Deckenhinweis selbstreferentiell gemeint sein, wäre ich verunsichert, was das heutige Testessen angeht. Als Einladung zum Alltagsausstieg finde ich das Symbol wiederum beschmunzelwürdig. Oh, wie schön sind andere Welten, wenn man zu Hause bleiben kann. Oh, wie schön ist (das) Panama!

 

Zwei, die sich aufmachten, ein Abenteuer zu suchen und in der eigenen Stadt ein kleines kulinarisches Paradies finden sollten, schauen sich nun tief in die Augen. „Ist das für uns beide?“ fragt sie. Wenn der Sharing-Style den wummernden Zeitgeist und die Vorspeise bestimmt, wird nichts leichter. Teilen macht glücklich und stellt Gemeinschaft her, heißt es. Sie starrt mich an und blinzelt nicht, ich starre zurück und es blitzt kurz in der Pupille, ein Blickduell, Stille am Tisch, die Blicke senken sich zum Teller. „Ich liiiiebe Ceviche!“ sagt sie, „Ich liebe Wolfsbarsch und Grapefruit!“ sage ich. Nochmals tiefe Blicke in eingefrorene Mimik. Aus psychohygienischer Notwendigkeit teilen kratzende Löffel die Portion höflich auf. Das angespannte Schweigen wird vom ersten Bissen gebrochen. „Oh mein Gott, egal, zur Not bestellen wir noch eine Portion!“ bricht die Erkenntnis synchron aus unseren Kehlköpfen. Ceviche, my ass! Das Signature-Dish, das im Panama immer wieder in abgewandelten Varianten angeboten wird, ist jetzt schon unser Lieblingsgang: Der Wolfsbarsch kommt aus der Müritz und ist ein kleiner Kochvortäuscher: Wer im Chemieunterricht aufgepasst hat, weiß, dass man Eiweiße nicht nur mit Hitze denaturieren kann, sondern auch mit sauren ph-Werten. Also wurde der Wolfsbarsch in die Zitronensäure geschubst und schwamm für einige Stunden darin herum. Dann wurde er mit Grapefruit hochgeschraubt, die den Gang als Sud und als Mini-Filets befruchtet und von Lebkuchenstückchen ergänzt wird. Chicorée und Macadamia-Nüsse, die dem Wolfsbarsch hauchzart als crispy Blättchen auf’s Haupt gehobelt wurden, steuern die bitter-nussige Note bei.

 

„Danke, dass du mich mitgenommen hast. Was für ein wunderbarer Ort!“ sagt sie. „Ich weiß, dass du ein Fernwehkind bist…“ sage ich. Sie nickt und betrachtet die indirekte Beleuchtung, die gelb-weiß schimmernden Sofas und Sessel, die das Licht der Südhalbkugel imitieren, und bleibt am beinahe karrikaturhaft gewachsenen Lucky-Luke-Cartoon-Kaktus hängen - man hat direkt einen Stachel-Draht zueinander. Besonders fällt die abgefahrene Lichtinstallation ins Auge – eine Anfertigung von Björn Dahlem, die eine perfekte Projektionsfläche für Fernweh bietet. Das darf steuerlos die Kanthölzer entlanggleiten und sich überraschen lassen, welche Elektro-Sonne diesmal aufgeht, befinden sich doch zwischen und an den Enden der in alle Richtungen in den Raum ragenden Kanthölzer unterschiedlichste Leuchtkörpervariationen. The Big Bang heißt die Arbeit - aus einem Ursprungspunkt in alle Richtungen hinausziehend oder auch als schwarzes Loch lesbar, das punktuelle Einflüsse von außen auf einem Punkt vereint. Die Metaphorik dieser Leuchte findet sich im Konzept des Panama wieder – eine Fusionsküche aus regionaler Nachhaltigkeitsdenke und integrierter Weltläufigkeit bildet kulinarische Gesichter aus aller Welt auf dem Teller vor uns ab.

 

Im Gegensatz zu Mama Ayahuasca, die mehrgesichtige Frauengestalt, die - so wird berichtet - unter DMT-Einfluss als Vision erscheint, wirkt die Frauengestalt in der Küche weniger furchteinflößend. Der offene Küchenpass gestattet die heimliche Beobachtung der blonden Frau mit dem makellosen Dutt und dem konzentrierten Blick: Die für den Service schon bereit gestellten Schälchen werden von Sophia Rudolphs flinken Händen sorgfältig auf Kante geschoben und in Reihe angeordnet. Wenn Sorgfalt und Behutsamkeit bis zur Perfektion getrieben werden, lässt sich die Arbeit im 3-Sterner erahnen. Nach Standortwechseln zwischen Berlin und Frankreich, wo sie bei Paul Bocuse und Alain Ducasse lernte, ging sie als Sous-Chefin in die Weinbar Rutz und somit wieder zurück nach Berlin. Seit 2016 sortiert die Perfektionistin ihre Streberinnenteller als Küchenchefin nun hier.

 

Perfektion – für die einen eine lähmende Illusion, für Andere kompromissloser Antrieb. Wenn man Perfektion vom eigenen und dem Ego der Agierenden entkoppelt und die Erschaffenden als Vehikel für eine Idee, für eine Vision oder für einen unsichtbaren Musenkuss erkennt, geht es um bloße kindlich-naive Freude. Sich an Vollkommenheit erfreuen, die technische Beherrschung bewundern und sich selbstlos darin auflösen. Dabei geht es nicht darum, Perfektion als Angriff auf eigene Unzulänglichkeiten zu verstehen oder als Diktat einer einzuhaltenden Fehler- und Makellosigkeit. In der Perfektion legt man das Ego ab und verliert sich selbstlos an den Prozess des Erschaffens. Wenn das Ergebnis erreicht ist, gibt man es frei… und kehrt zu sich zurück. Perfektion nicht als „Du musst unfehlbar sein“ , sondern als „dein und anderer Erschaffenes darf in diesem Moment perfekt sein“ verstehen. Und perfekt ist alles, das einer inneren Wahrheit so nah wie möglich kommt.

 

Perfekt finden wir im Übrigen den zweiten Gang: Blumen super, Kohl super und beide nun auch noch gemeinsam paddelnd in intensiver Currysoße. Der mit Sourcream-Tupfen behübschte frittierte Blumenkohl überrascht mit starker Umami-Note für so ein Durchschnittsgemüse. Gebeiztes Eigelb und crunchy Flakes obenauf buchen das Upgrade hinzu. Der Palermo hilft über’s erste Völlegefühl hinweg und ebnet den Weg für die Folgedrinks in der Tiger Bar. Er wurde extra für’s Dessert entwickelt und offenbart sich als Gin-basierter Karottenmilkpunch, der vom Rum ausgezogen, mit Hafermilch geklärt und behutsam von der Blutorange betreut wurde. Memo an mich: In meinem Drink schwimmt Karottengrün. Es ist ein Smoothie! Und wer Fotosynthese kann, kumpelt halt gern zusammen ab. Der Blick wandert demnach fast fremdbestimmt auf das cholorphyllige Bild an der Wand: „Ist das ein Foto oder ein Gemälde?“ frage ich Patrick, der von meinen Fragen erschöpfter als vom Service wirkt, aber tapfer berichtet, dass die Künstler*innen an diesen Ort im Dschungel gefahren seien und das auf dem Bild abfotografierte Pflanzenessemble vor Ort mit weißer Farbe besprüht hätten, um nach getrockneter Arbeit originalgetreu nachzupinseln, was vorher geblankt wurde. Fertig gemalt und abfotografiert hängt es nun hier und ich schüttele den Kopf, renne nervös hin und her, um diese Matruschka-eske Idee aus allen Perspektiven zu inspizieren. Krank! Ich mag Menschen, die so denken! Ich setze mich hin und das Glas an.

 

Ja, wer kommt denn da? Das Karottengrün hat ja bereits gespoilert. Gnadenlose Möhren-Variation im Dessertmodus: Der dekonstruierte Karottenkuchen wird in Marzipan getränkt, was ich ausgesprochen vernünftig finde, der Frischkäseschaum beruhigt wieder etwas, damit fermentiertes Karottensorbet mit intensiver Ingwernote den Rausschmeißervogel abschießt. Ab jetzt denke ich nur noch mit dem Knie! Das sagte jedenfalls auch Josef Beuys, dem in Form einer Neon-Hommage an der Wand gehuldigt wird. Das Knie erstreckt sich als blau-rot-leuchtendes Scharniergelenk orthopädisch akkurat über eine Ecke des Gastraums. Das größte Gelenk des menschlichen Körpers wartet mit allerlei Firlefanz auf - Kapseln, Menisken, Knorpel und Sehnen und der ganze Zinnober nur, um von A nach B zu gelangen. Knietief drin in der Metaphorik. Aber man soll ja den Zauber nicht in seine Elemente untergliedern, dann ist alles nur halb so schön. Außerdem brauche ich noch Philosophiestoff für die Tigerbar, in die wechseln wir jetzt nämlich und wer nicht denken will, fliegt raus.

 

Panama

Potsdamer Straße 91

10785 Berlin

 

https://oh-panama.com/de/willkommen/

 

3 Gänge ca. 50 Euro

 

Geschmackssinniges, Januar 2020.

 

Sophia Rudolph über Perfektion, ihren leeren Kühlschrank und Frauen in der Branche gibt’s unter Fragegespräche.

 

Mein Besuch im Panama wurde vom Restaurant unterstützt. Danke an das sympathische Team.

 

Shero #2: Maite Hontiveros - Dittke (Düsseldorf)

 

Weihnachtsdinner der philippinischen Botschaft im Waldorf-Astoria (Berlin-Charlottenburg)

 

Essig ist der Deal! Es gibt auf den Philippinen über 400 Essig-Sorten, die aus Ananas, Cashew-Kernen oder sogar aus Kokoswasser gewonnen werden und Säure zur allgegenwärtigen Geschmackskomponente befördern, wie mir die philippinische Botschafterin Maria-Theresa Dizon-de Vega verrät, die an diesem Abend zum philippinischen Weihnachtsdinner geladen hatte.

Im weihnachtlich aufgehübschten Waldorf-Astoria begeistert Köchin Maite Hontiveros-Dittke aus Düsseldorf nicht nur mit verschiedenen Essigen, sondern verbastelt sie in 5 Gängen zu philippinischen Grandiositäten. Bevor wir an der traditionell geschmückten Tafel mit Blick auf’s Bikini-Haus Platz nehmen dürfen, gesellen sich zu den Cocktails aus landestypischem Mango-Likör wegsnackbare Besonderheiten von Bulawan Callanta. Bulawan serviert ansonsten im eigenen Restaurant „Ayan“ in der Potsdamer Straße die kulinarische Vielfalt der Philippinen als Mini-Streetfood-Varianten. Heute Abend erläutert er mir geduldig, wie er „Longanisa“, das traditionelle süße Pork mit Knoblauch, so kreischend pink eingefärbt oder „Liempo“, den gegrillten Schweinebauch, so herzhaft würzig zurechtmariniert hat. Wortschätzchen und Lieblingskollegin Ute Schirmack hatte zuvor noch hitzig „Iss bloß nichts vorher. Das wird ein Gelage!“ ins Handy gehämmert, aber „Salmon Kilawin“, die traditionell in Essig (Da ist er wieder!) eingelegten Lachsschnitzen auf knackiger Gurke, passen noch hinein, bevor es weiter an die große Tafel geht.

Bemerkenswert und sehr erfrischend startet Maites Menü mit einer Kokoswassersuppe mit gekochtem Huhn und grüner Papaya, die sie in einer ausgehöhlten Kokosnuss präsentiert. Eine der Frühlingsrollen, die uns im Anschluss erreichen, inszeniert sich sittsam vegetarisch und stellt Fleischersatz im Filipino-Style vor: eine Füllung aus Bananenblüten, Cashewnüssen und einer Sojasoßen-Zucker-Paste wird eingehüllt in den crunchigen Teigmantel wie angeraten in den Bananenketchup gedippt - die philippinische Variante des Tomatenketchup, die sich durch den Überfluss an Bananen auf den Inseln erklärt.

Im Rahmen des Hauptgangs tafelt Maite zartgegarte Maishuhnkeulen auf – die sich zusammen mit dem Zuckerrohr-Essig-Dip mit den darin plätschernden Chilis als spannende Komposition erweisen. Phew! Es werden noch zwei weitere Gänge folgen. 3 Starter und 5 Teller ergeben 8 Gänge und den Wunsch nach Liegestühlen. Ersteres ist typisch philippinisch, denn 8 tägliche Mahlzeiten sind Standard in einem Land, in dem es fast ausschließlich ums Essen gehe, wie mir Carol Malasig erzählt. Carol ist als Journalistin und Diplomatengattin viel unterwegs und leidenschaftliche Kosmopolitin, aber die Philippinen bleiben ihre Heimat. „Wir reden ständig über’s Essen und wir essen auch ständig!“ flüstert sie mir ins Ohr. Fleisch und Fisch sind dabei ein fester Bestandteil der philippinischen Küche, die durch unterschiedliche Einflüsse, besonders aus Zeiten der spanischen Kolonialzeit, enorme Vielfalt aufweist und immer wieder überraschend ist. Bezeichnend für den nächsten Gang: uns erwarten geheimnissvolle Bananenblatt-Pakete, die sich beim Öffnen als landestypische „Pinais“ herausstellen. In den ausgehöhlten Panzern der Riesen-Taschenkrebse findet sich ihr mit Ingwer und Knoblauch gekochtes Fleisch, das eine aromatische Liaison mit Mangrovenfischen eingeht, die auf den Philippinen als „Poor Men’s Fish“ bekannt sind und sich entsprechend in vielen Gerichten und der häufig verwendeten fermentierten Shrimps-Paste „Bagoong“ wiederfinden. Das folgende Dessert lässt den Ringschluss zu den eingangs angebotenen Mango-Cocktails deutlich werden: Die Charakterfrucht des Landes - die Carabao-Mango -, die besonders süß ist und in Frankreich schon lange zu den Delikatessen zählt, wurde eingefroren und hergeflogen, um sich zuckersüß auf klassischem Klebreiskuchen zu präsentieren, der Maites Menü an diesem Abend mit Kokosnote und viel braunem Zucker abschließt.

Für den Heimweg gibt’s für jeden Gast eine Flasche philippinischen Rum aus der ältesten Brennerei des Landes. Sie kommt zusammen mit hochwertiger philippinischer Schokolade und der charakteristischen Shrimps-Paste ins Goodie-Bag. Die großzügige Herzlichkeit der philippinischen Botschaft, ein Gespräch mit der sympathischen Köchin des Abends und Impressionen dieser gleichsam einfachen wie ehrlichen Kulinarik kommen mit in die Präsente-Tüte und nach Haus.

 

Ein Kurzinterview mit Maite Hontiveros - Dittke gibt's unter Fragegespräche.

 

Wer Maites Kochevents in Düsseldorf buchen möchte, schaut sich bitte beherzt auf ihrer Internetwohnung um:

 

https://maites-asiancuisine.de/

 

Gute PR & wortgewandte Texte gibt's bei Lieblingskollegin Ute Schirmack:

 

http://uteschirmack.de/

 

Spannende Einsichten in das Leben einer Diplomatengattin und philippinischen TV-Journalistin gibt's auf Carol Malasigs Blog:

 

https://almostdiplomatic.com/

 

Philippinisches Streetfood gibt es bei Bulawan in der Potsdamer Straße:

 

https://www.ayan-berlin.de/

 

Geschmackssinniges, Dezember 2019.

 

Shero #1: Ling Ma vom Kong 

 

Kong (Berlin - Friedrichshain)

 

Halloween-Zeit - es ist gruselig in Friedrichshain: Ich renne. Zum Einen weil ich spät dran bin, zum Anderen, weil ich mit meinem Schuh ein wenig Hundekot vom U-Bahn-Steig aufgelesen habe und schneller sein muss, als das herzhafte Wölkchen, das mir ungefragt um die flitzenden Waden schlingert. Vorbei an Spätis, aus denen hysterischer Bumm-Bumm-Techno dröhnt, weiter im Slalom durch die Beine eines Ich-trage-jetzt-wieder-Buffalos-aus-den-90ern-aber-voll-ironisch-Mädchens und stolpere über eines dieser bunt bemützten Bullerbü-Kinder mit sehr großen Schneidezähnen, das seiner Oma gerade ein Kürbisgedicht aufsagt. Keuchend rette ich mich in die Niederbarnimstraße 4. Hier ist es ruhig. Hier bin ich sicher und bei Universal -Talent Ling Ma in guten Händen. Ling ist Architektin, Designerin, Köchin - eine Macherin, die auch vor tragenden Wänden nicht halt macht und ihr Restaurant sowohl selbst entkernt als auch - von Beton-Tischen über hochwertige Holzhocker bis hin zu aus schwarzen Plexiglas-Oktetten zusammengesetzten Statement-Lampen - selbst entworfen und ins Leben gebastelt hat.

Die Begleitung fällt Tong Liu, Lings Geschäftspartner, direkt in die Arme – beide kennen sich aus dem THE TREE – dem chinesischen Nudelhaus in der Brunnenstraße - , das Ling und Tong seit 2016 betreiben. Der Ableger Kong bietet – wie der Telling Name „Kong“ schon sprachgeschichtlich erzählt – einen Raum, in dem viel passiert und noch mehr möglich ist: ein multifunktionaler Ort, an dem neben Workshops, in denen man lernen kann, Bonsais herzustellen, regelmäßige Tee-Pop-Up Events und Supperclubs stattfinden und abends Ling mit ihrem festen 5-Gang-Menü mit authentisch sichuanischer Küche aufwartet. Und das geht so:

 

Zum traditionellen Tee, den man sich an der Theke aus 2-3 Zutaten aus den aufgereihten Schraubgläschen zusammenstellen kann, gesellt sich unsere Vorspeise aus einem beeindruckend aromatischen Pilzsalat; dieser besteht aus Austern - , Enoki -, und Buchenpilzen sowie braunen Saitlingen, deren perfekt austarierte Würzigkeit von erfrischender Pomelo ergänzt wird. Dazu krachen knallrote Radieschen, die mit Salz fermentiert und dadurch ihrer Schärfe beraubt wurden, sodass ein mildes Radieschenaroma bleibt, das wiederum von grünen Okra-Schoten und schwarzem Sesam nicht nur optisch komplettiert wird.

 

Die für traditionelle Sichuan-Küche überraschende Milde des ersten Gangs lässt uns etwas naiv „Geht doch…mit der Schärfe!“ flüstern. Vielleicht etwas zu laut. Die Schärfedramaturgie des Abends nimmt ihren Lauf. Im zweiten Gang erwartet uns Mah-Pfeffer, zu dem Tongs Großmutter entschieden bei Zahnschmerzen rät, da er Schleimhäute zu betäuben vermag. Der typische Pfeffer, der tatsächlich ein ungewohntes Taubheitsgefühl auf der Zunge hinterlässt, wird zusammen mit weiteren süß-kräuterigen Sichuan-Gewürzen und buttrig-zarten, frittierten Hühnchennuggets in ein Papiertütchen gefüllt. Dies liegt nun auf unseren Tellern. Wir schauen Tong fragend an, worauf er uns ermutigt, die Papiertüten audiovisuell eindrucksvoll zu schütteln bis die Nebentische genervt zu uns herüberschauen. Das Schüttelhühnchen soll nicht nur einen typisch chinesischen Geschmack präsentieren, sondern auch für Interaktion mit (und zwischen – ups) den Gästen sorgen.

Es folgt das chinesische Pendant zur Currywurst: die Schrippe wird durch knuspriges Sesambrot ersetzt und als Umami-Walze rollt ein intensiv gewürzter Lammspieß über unsere Teller. In Sachen Schärfe-Progression übernimmt jetzt die Sichuan-Chili, die Tong und Ling einmal im Jahr direkt aus China mitbringen, denn Ling schüttelt nur lächelnd den Kopf auf meine Frage, ob man Chilis dieser Art nicht auch hier bekäme. Ling und Tong präsentieren uns mit diesem Gang ein typisch chinesisches Streetfood. Wir sollen uns eine Straße in China vorstellen, auf der sich Chines*innen nach Feierabend auf dem Heimweg noch einen Spieß auf die Hand mitnehmen, was nicht unüblich sei und ein ganz spezielles Straßengefühl ausmache.

Als Hauptgang erreicht uns eine intensive süß-saure Suppe auf Fischbasis mit aromatischem Yüxiang Pork, Staudensellerie und Shitaki-Pilzen; für die nächste Progressionsstufe in Sachen Feueralarm sorgen fermentierte Chilis, die uns jetzt wirklich die Schweißperlen auf die Stirn und die Tränen in die Augen treiben. Es rettet uns der bunte Reis, der fruchtig gewürzt und harmonisierend ausgleicht. Phew. Authentisch sagt man wohl. Wer Schärfe liebt, erlebt hier einen herausfordernden Gang, der fein durchkomponiert alle Anforderungen an einen Hauptgang erfüllt.

Als Dessert entlässt uns ein sowohl herbstlicher als auch harmloser Kürbispudding aus unserer Schärfe-Umnachtung. Ling hat bei diesem bewusst wenig Süße verwendet, was den Pudding nach all den intensiven Gewürzen etwas erblassen lässt. Die - ursprünglich asiatische - „süße Tomate“, die hier in Berlin eher als Kaki bekannt und zu Recht als Götterfrucht bezeichnet wird, versorgt den leichtgängigen Pudding mit notwendiger Fruchtsüße.

 

Wir sind beseelt und werden von Tong und Ling auf einen typisch sichuanischen Edel-Schnaps eingeladen – dieser sorgt dafür, dass ich mich schließlich traue, als potentielle Käuferin der Design-Lampen bei eventueller Umdekoration in Erscheinung zu treten. Es sollten nicht nur Objektophile hier einreiten und Lings Lampen belobhudeln, alle können ab Januar ein neues Menü genießen. Dieses wird monatlich gewechselt und in der Zwischenzeit lässt es sich besonnen im THE TREE reservieren. Wir ziehen derweil in die Friedrichshainer Nacht und treten dabei weder in Hundekot, noch wummert uns Bumm-Bumm-Techno entgegen, ein Hipster lächelt freundlich und alle Bullerbü-Kinder schlafen schon – Friedrichshain ist wie das „Kong“ – ein Ort, an dem so viel möglich ist.

 

Geschmackssinniges, November 2019.

 

Kong

Niederbarnimstraße 4

10247 Berlin

 

https://www.instagram.com/kong.berlin/

 

Festes 5-Gang-Menü 35 Euro (monatlich wechselnd)

 

Mein Besuch im Kong wurde vom Restaurant unterstützt. Danke an Ling und Tong.

 


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